Design: Der Monobloc: Ein Stuhl für alle und überall | Augsburger General

2021-10-22 08:48:32 By : Ms. Shirley Lin

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Der Monoblock gilt als hässlich, billig und banal. Aber es muss gute Gründe geben, warum die ganze Welt damit ausgestattet ist.

Was der Kaffeebecher zum Laufen ist, ist er zum Sitzen: der Plastikstuhl. Ein Massenartikel, weltweit verbreitet, allgegenwärtig, anonym, austauschbar – und günstig. Der weiße Plastikstuhl ist ein, vielleicht sogar das Symbol der Globalisierung und auf jeden Fall das am weitesten verbreitete Möbelstück der Welt. Ein brillantes Produkt mit schlechtem Image, wie die Tütensuppe oder die Blechdose.

Ein Wegwerfartikel, der im Sturm manchmal von selbst davonfliegt. Inkarnation des Billigen, des Banalen, des Hässlichen. Von Exklusivität, Stil und Luxus kann man nicht weiter entfernt sitzen als auf einem Plastiksessel – einem Thron der Armut. Designer verachteten und ignorierten gerne den üblichen Erfolgsstuhl mit der fächerförmig durchbrochenen Rückenlehne als eine Art Straßenbastard. Wer im Urlaub romantische Fotos vom Urlaubsstrand macht, sollte darauf achten, dass kein Plastikstuhl auf dem Foto zu sehen ist. Wer heute noch Plastikstühle statt Teakholzmöbel auf seiner Terrasse oder im Garten hat, muss äußerst unsensibel gegenüber dem Zeitgeist sein.

Der „Monobloc“, wie der Stuhl auch genannt wird, weil er trotz aller ästhetischen Vorbehalte aus einem Stück gefertigt ist, trat vor rund 30 Jahren seinen Siegeszug um die Welt an. Schätzungen zufolge gibt es über eine Milliarde dieser Universalstühle – nicht nur in Weiß, sondern in allen Farben, von Tannengrün bis leuchtendem Gelb (zum Vergleich: Thonet-Stuhl Nr. 14, ein Kulturklassiker, soll überverkauft sein 100 Millionen weltweit für Indoor, natürlich). Ob auf den Straßen von Hanoi und Damaskus, in den Gassen von Tanger oder vor einem Flensburger Imbiss: Die Menschheit sitzt und räkelt und hockt und döst auf dem massenproduzierten Monoblock. „Es hat sich wie ein Virus verbreitet“, sagt die Kuratorin Heng Zhi vom Vitra Design Museum in Weil am Rhein, die dem Alltagsgegenstand unter dem Titel „Monobloc – A Chair for the World“ eine kleine Ausstellung widmet, die ausgezeichnet wurde europaweit viel Aufmerksamkeit. als wäre dort ein bisher unbekannter Picasso zu sehen.

Der Plastikstuhl ist eine rätselhafte Sache. Ohne ihn gäbe es keine gewöhnliche mitteleuropäische Open-Air-Gastronomie. Tausende von Start-ups wären ohne ihn im Chaos. Ohne den Plastikstuhl, der ein demokratisches Medium der Gleichberechtigung ist, wären die Straßen in den Metropolen Asiens kahl und leer. Gibt es überhaupt noch jemanden, der sich noch nicht darauf gesetzt hat? Die All-World-Möbel stehen bereit im Strandcafé, bei einem Open-Air-Konzert, auf der Sonnenterrasse eines Campingplatzes, in einer Garküche in Bangkok, im kleinen Garten mit Freunden, im Wohnzimmer in Kairo, im Freien -Luftkino in Augsburg.

Die Vorteile des billigen Stuhls, der zu den unscheinbarsten Massengütern der Zivilisation gehört, liegen auf der Hand. Es ist leicht, waschbar, wetterfest, unempfindlich, stapelbar, preiswert, praktisch und recycelbar. Und ja, auch das: bequem. Mit seinen geschwungenen Armlehnen, die wie Griffe aus der Rückenlehne gebogen sind, der breiten Sitzfläche, der organisch abgerundeten Kante unter den Kniekehlen. Der Monobloc ist nicht so stabil wie ein Ohrensessel - es kann passieren, dass seine angewinkelten Profilbeine versagen und einknicken, wenn sich jemand zu schwer hineinfallen lässt. Experten vermuten, dass heute oft schlechte Billigkunststoffe und immer dünnere Materialien Plastikstühle schwächen. Es gibt unendlich viele Typen und Variationen des Monoblocks, es sollen bis zu 500 sein. Es gibt keine Markennamen in der Welt des Weltstuhls, aber Hunderte von Herstellern dieser ewigen Übergangslösung. Doch im Zentrum der Ausstellung in Weil am Rhein thront nur ein Vorfahr.

Dieser Kern des Massensitzes hat einen poetischen Namen: „Fauteuil 300“, Sessel 300. Er wurde 1972 von dem französischen Ingenieur und ehemaligen Knopffabrikanten Henry Massonnet mit Hilfe des befreundeten Designers Pierre Paulin entworfen. Der preiswerte Urtyp des Stuhls aus dem Kunststoff Polypropylen könnte dann innerhalb von zwei Minuten im Spritzgussverfahren hergestellt werden. Polypropylen ist das gleiche Material, aus dem Bierkisten hergestellt werden. Sitzen kann man auch auf einer umgedrehten leeren Bierkiste – der Monobloc hingegen gleicht einem Luxussessel aus dem Schloss von Versailles. Die ersten Massonnet-Modelle waren damals übrigens noch extrem teuer – 300 Franken, jeweils etwa 100 D-Mark. Heute gibt es ihn zum Preis von zwei Liter Bier, manchmal kostet er über 10 Euro, selten über 20.

Es dauert jetzt weniger als eine Minute, um einen Monoblock zu erstellen. Zwei bis drei Kilogramm Kunststoffgranulat werden erhitzt und in eine Form gespritzt. Dann greift ein Roboter den fertigen Stuhl und stapelt ihn. Eine Maschine kann pro Stunde 50 bis 60 neue Stühle auf den Boden stellen. Inzwischen hat der Monoblock seinen Zenit überschritten und wird langsam zu einem Relikt vergangener Zeiten. Das bemerkte auch Heng Zhi, der von überraschend großen Schwierigkeiten berichtete, schnell eine Ladung vulgärer Plastikstühle für die Ausstellung zu ergattern. Das Museum musste den Stapel von 50 Stühlen online bestellen – „extra teuer für je 17 Euro“.

Wer Monoblock sagt, muss auch Jens Thiel sagen. Er ist so etwas wie der höchste Ehrenretter und Forscher des Plastikstuhls. Der in Berlin lebende Ökonom könnte auch als Privatforscher bezeichnet werden, dessen Leben ebenso eng mit dem Monoblock verbunden ist wie der nackte, verschwitzte Oberschenkel auf dem weißen Plastik. Thiel hat den Monoblock, den er für "das beste Möbel der Welt" hält, aus der Monotonie geholt, er hat ihm eine Würde, eine Geschichte gegeben - auch mit einer eigenen Website, die seit 2004 in Betrieb ist und die erreicht hat Kultstatus, ist aber inzwischen geschlossen. In Interviews sagt Thiel gerne schöne Sätze über den unscheinbaren Stuhl, auf dem er auch zu Hause gerne sitzt, „natürlich pur, ohne Sitzkissen!“. Für Jens Thiel ist der Kunststoffstuhl „die Krone der Leistungsfähigkeit unserer Industriegesellschaft“. Und: „Er ist ein Basic. Der Monoblock ist ein bisschen wie ein weißes T-Shirt. "

Kombinierbar mit allem, was man hinzufügen möchte – und vom Stuhl fallen, wenn man merkt, wie viele Kommunen den Plastikstuhl verboten und verboten haben! Der Monoblock sitzt vielerorts auf der Anklagebank, wird als Designsünde, als Schande, als Absage und ästhetische Katastrophe geächtet. Viele historische Stadtkerne sind per Gesetz zu No-Go-Areas für den Monoblock geworden. Beim Evangelischen Kirchentag saßen übrigens wieder die Massen auf unglaublich korrekten Papphockern.

Noch bis 9. Juli findet im Schaudepot des Vitra Design Museums in Weil am Rhein eine Ausstellung zu diesem besonderen Möbelstück statt: „Monobloc – Ein Stuhl für die Welt“. Täglich geöffnet von 10 bis 18 Uhr Infos: www.design-museum.de